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Sonntag, 30. August 2015

Vegan und Sarah Wiener

Star-Köchin Sarah Wiener hat einen Gast-Artikel für das Wirtschafts-Magazin enorm (Ausgabe 3 – Jul/Aug 2015) geschrieben, welcher hohe Wellen schlug. Diverse Kurz-Interviews (Sat.1-Frühstücksfernsehen)und Talk-Show-Äußerungen (3nach9 Radio Bremen) kamen im Anschluss. Und auch ich will mich zu ihren Aussagen äußern und beziehe mich auf Ausschnitte des Artikels oder der Talkrunde bei 3nach9:

Vorneweg: Sarah Wiener ist keine Expertin – sie stellt nur ihre Meinung zur Verfügung. Das sollte nicht vergessen werden. Auch die meisten Veganer sind keine Experten…

Und noch etwas vorneweg: im Kern bin ich einer Meinung mit Frau Wiener. Das wird hier gleich nicht mehr so klingen, aber ich bin wirklich einer Meinung was die Natürlichkeit unserer Nahrung anbelangt.

Los geht’s:

Ein fieses Zitat aus 3nach9: “Künstlicher Veganismus” 

Sie kombiniert hier zwei Dinge. Veganismus MUSS nicht künstlich sein. Veganer sind auch nur Menschen und wir alle essen viele hochverarbeitete Lebensmittel. Das Bemühen um natürliche Lebensmittel geht alle an. Vegan heißt nicht nur Kunstprodukte… Diese Gleichsetzung ist hoch-polemisch und schade… Frau Wiener hält Veganer für reflektierte Menschen – ja, genau. Ich halte Frau Wiener auch für reflektiert. Aber wie man sieht: Jeder reflektierte Mensch kann auch mal Blödsinn reden (“künstlicher Veganismus”) oder eben komischen Verhaltensweisen anhängen (Kunstessen essen). Soll vorkommen. Ich habe mich entschlossen, “künstlicher Veganismus” einfach so zu werten: wenn man das Wort künstlich davorsetzen muss, isses im Wort Veganismus wohl noch nicht enthalten! Also ist Veganismus an sich nicht künstlich! Tadaaa.

Überraschenderweise sieht Frau Wiener das ähnlich, haut aber dann gleich wieder auf die Kunst-Seite der veganen Palette: “Natürlich gibt es auch unter Veganern Menschen, die auf Fertigprodukte und industrielle Lebensmittel verzichten, die sich biologisch und regional ernähren. Aber auf dem Trendmarkt Veganismus boomen eben auch all die Kunstprodukte von Seitan-Truthahn bis zum Soja-Hamburger.”

“Es fängt schon bei einer schlichten Sojamilch an. Kochen und drücken Sie Sojabohnen einmal aus – die Brühe ist kaum trinkbar, die möchte sich niemand in seine Latte Macchiato kippen. Die Sojamilch, die heute in jedem Supermarkt steht, ist ein hochverarbeitetes Industrie-Produkt – und in etwa so künstlich wie eine Cola”. Schon mal selber Sojamilch gemacht, liebe Frau Wiener? Einfach nur falsch. Grob geht das so: getrocknete Bohnen einweichen, pürieren, dann kochen (bis auf den Pürierschritt dürfte Frau Wiener dieses Vorgehen eigentlich von anderen Bohnensorten kennen), dann Feststoffe abtrennen. Fertig. Dass industriell hergestellte Sojamilch noch haltbar gemacht und mit komischem Zeug versetzt wird, ist wieder ein anderes Thema – Frau Wiener verwischt hier die einzelnen Dinge etwas.

Auch kaufbare Milch ist heute kein reines Naturprodukt. Ehrlicherweise muss ich dazu sagen, dass DIESE Tatsache Frau Wiener auch klar ist, denn Kritik übte sie auch an Kuhmilch – verkocht, konserviert (3nach9)… Also Kritik an ALLEM – nicht nur vegan! Aber was aus den Äußerungen wahrgenommen und gemacht wird, ist:

 

Vegan-Bashing

Problematisch sind ihre Äußerungen vor dem Hintergrund des Vegan-Boomes und der Abwehrhaltung der meisten Omnivoren/Vegetarier gegen Vegan. Denn bei vielen wird die grundsätzliche Antihaltung zu verarbeiteten Produkten platt auf vegan übertragen, ohne dass Omnivore/Vegetarier die Transferleistung erbringen, das auf ihr Essen zu übertragen (Toasties, industrielles Brot, Cola, Tüten-Gerichte, Käsesauce, Schmelzkäse, Oreos, TK-Torte, Schinkenwurst …). Sarah Wiener ist auch gegen “normale” hochverarbeitete Nahrung – alle sind angesprochen! Wenn man genau liest/hinhört, wird das auch dem Letzen klar. Leider sendet sie dazu die falschen Signale: “Wir wollen nichts zahlen für gutes Essen, aber für solche Kunstprodukte zahlen wir gern das 3-Fache (greift zu veganem Pizzaschmelz)” – hier wird mal wieder auf Veganer reduziert. Auch Omnivore zahlen Geld für Kunstprodukte. Und Veganer lassen Tierprodukte nicht aus Kostengründen weg, weil sie für das “gute” Fleisch, den “anständigen” Käse nicht zahlen wollen! Ganz im Gegenteil, viele Menschen trauen sich den Schritt zu vegan nicht zu, weil es so teuer sei… Das passt vorne und hinten nicht.

Leider wird aus all dem Vegan-Bashing gemacht – das wird weder vegan noch Frau Wiener gerecht.

Auf der Interpretation der Meinung einer einzelnen Starköchin können sich dann wieder alle ausruhen:

Veganer sind halt doof und haben selber keine Ahnung von Ernährung.

Die haben alle eine Ersatzreligion.

Veganer als Gruppe sind schließlich total homogen – einer ist wie der andere.

Alle Veganer wollen einen belehren und denken, sie würden voll gesund essen…

Jupp, genau… Sachdienlich sieht anders aus.

 

Dazu kommt ein grundlegendes Unverständnis/Ausblenden seitens Frau Wiener:

 

Veganer als Ernährungsexperten - gesund-vegan vs. Tierleid

Industriell verarbeitete Produkte sind in verschiedenen Ausmaßen unnatürlich – egal ob aus totem Tier/Tiersekreten oder Pflanzen. Die meisten Veganer wollen aber nicht in erster Linie die Industrialisierung umkehren… Das ist meist nicht ihr Interesse.

Bei Vegan geht es meist nicht nur das Essen selbst und seine Zusammensetzung, sondern die Motivation entscheidet. Daher ist vollkommen klar, dass Veganer nicht automatisch Ernährungsexperten sind – viele Veganer sind ethisch motiviert, andere wollen abnehmen, wieder andere finden es einfach spannend. “Ungesund” ist für einige Veganer nicht ganz so wichtig wie die Tiere – als Omnivor hat man diesen Blick eher nicht. Dazu kommt: Viele Veganer sind nicht – anders als Frau Wiener – interessiert an “anständiger” Tierhaltung. Sie sehen auch diese Form der Haltung negativ. Für viele schließen sich anständig und Tierhaltung aus. Kein Wunder: Milch z.B. kriege ich nur, wenn eine Kuh schwanger ist und dann ihr Kalb NICHT säugen darf, weil wir die Milch wollen.

“Und noch weniger rettet man mit dem Verzicht auf tierische Produkte die Welt.” Klar: einige Veganer glauben, das sei der einzig relevante Schritt. Aber sein wir ehrlich: in einer so komplexen Welt KANN ein Schritt nicht den ganzen Weg reichen.

“Vegane Ernährung ist keine Lösung des Grundproblems” – Was IST denn genau das Grundproblem welches Frau Wiener da anspricht? Mal wieder ihr Thema: ”Vegan zu leben fördert weder die Nachfrage nach Produkten aus einer anständigen Tierhaltung noch die nach natürlichen, ökologisch erzeugten Lebensmitteln aus der eigenen Region”. Richtig! Veganer wollen gar nicht die Nachfrage nach Bio-Fleisch steigern! Denn Bio-Fleisch (und dazu gibt es genug Informationen) wird eben auch so hergestellt, dass viele Veganer das nicht unterstützen wollen. Ich rede hier nicht von Kleinbauern – davon weiß ich zu wenig. Ich rede nur von den offiziellen Bio-Siegeln der EU… Und ja, vegan allein erhöht nicht die Nachfrage nach natürlich/ökologisch erzeugten Lebensmitteln. Aber wie schon gesagt: das ist ihr spezielles Thema, nicht automatisch das eines jeden Veganers. Wobei ich behaupten würde, dass prozentual mehr Veganer regional/saisonal/bio kaufen, als Omnivore.

“Vegane Ernährung ändert kaum etwas” – doch, aber eben nicht das, was Frau Wiener meint. Vegane Ernährung ändert Tierleid ganz direkt.

Leider kommen von Frau Wiener auch Argumente, die sie sich aus Mangel an Wissen hätte verkneifen sollen:

 

Verwaschenes Zeug/Falsches Zeug

Frau Wiener selbst scheint sich zwar für eine Verringerung des Konsums tierischer Nahrungsmittel einzusetzen (auch wenn sie das nur für Fleisch klar sagt – für Milchprodukte & anderes Tierisches lässt sie das offen). Was ich dabei allerdings vermute, ist eine Unkenntnis was Landnutzung und Ressourcen angeht, sonst wären ihre Aufrufe zur Konsumreduktion vermutlich lauter und vehementer. Denn Bio-Rinder in Freilandhaltung z.B. verbrauchen massive Futtermengen und Wasser. Durch die lange Lebenszeit bei “Bio” geben diese Tiere weit mehr Klimagase ab, als die armen Tiere in der konventionellen Tierhaltung.  Das gilt auch für Schweine. Abgesehen davon ist nicht genug Platz, um Tiere zu halten oder ihr Futter anzubauen für all die Produkte, die bei ansteigendem Bedarf aller Menschen weltweit zur Verfügung stehen müssten. Frau Wiener unterlässt es, den Menschen klarzumachen, dass eine massive Reduktion des Konsums tierischer Lebensmittel stattfinden muss und wie wenig der Industriestaatler dann noch “dürfte”. Denn dann wäre der Aufschrei weit krasser als nur der von ein paar Veganern (ich erinnere an den Veggie-Day).

“Für mich stellt sich durchaus die Frage, ob es nicht unser Schicksal ist, auch Tiere zu essen – weil wir Allesfresser sind, weil wir bestimmte tierische Enzyme brauchen, um gesund zu bleiben”. Was zum Henker ist DAS denn für ein Argument? Bitte nennen sie eines! Das habe ich noch nie gehört… Wir selbst sind Tiere und produzieren damit tierische Enzyme, ok. Vielleicht meint Frau Wiener aber auch tierisches Eiweiß und nicht “Enzyme” (kurzer Exkurs: Eiweiße bestehen aus Aminosäuren. Fast alle Enzyme sind Eiweiße, aber bei weitem nicht alle Eiweiße sind Enzyme…). Dass wir das brauchen, ist inzwischen sauber widerlegt. Dazu muss ich hoffentlich nix mehr schreiben.

“und weil der Tier Dung unsere Felder düngt” – öööhm, ja, aber nur weil niemand mehr weiß, wohin mit den Stickstoffmengen! Es gibt diverse Ansätze, mit vernünftiger Fruchtfolge ohne Tier-Dung auszukommen (wer will schon den aktuellen Tier-Dung aus konventioneller Tierhaltung mit Gen-Soja-Futter). Da ich mich damit nicht auskenne: ich habe keine Ahnung, ob man Tier-Dung komplett ersetzen kann oder dann Ernstausfälle drohen. Aber ich hoffe doch, dass es geht!

“Doch eines muss klar sein: Unsere Bestimmung ist sicher nicht, Tiere wesensfremd zu halten und zu füttern – und ihnen keinen würdevollen Platz als Mitgeschöpfen einzuräumen.” Sicher ein Ansatz, aber die meisten Veganer sehen “würdevolle Mitgeschöpfe” nicht vereinbar mit Tierhaltung/-nutzung. Trotzdem, ein guter Übergang zum:

 

Fazit – Sarah Wieners und meins

“Vegan ist der richtige Ansatz, aber der falsche Weg” – das klingt hochphilosophisch, ist aber nur abhängig vom Standpunkt.

Allerdings: Frau Wiener lebte selbst für viele Monate vegan. Sie war in Südamerika und nicht sicher, dass die Tiere dort artgerecht gehalten wurden, also hat sie es meist weggelassen. Ich muss sagen: sehr konsequent. Respekt! Hier erkennt man wieder eines ihrer Herz-Themen: artgerechte Haltung.

“Ich habe Hochachtung und Respekt vor Menschen, die aus Achtung vor dem Tier auf Fleisch und alles andere Tierische verzichten. Sie sind zu Recht wütend über die Zustände in der Landwirtschaft.”

“Vegane Ersatzprodukte sind ein Tor für die Nahrungsmittelindustrie, um noch mehr künstliche, stark verarbeitete Lebensmittel minderer Qualität auf den Markt zu werfen. Aber je gezielter und selbstverständlicher wir unsere Nahrungsmittel nach unserer Vorstellung kreieren, desto mehr entfernen wir uns von der Natur – und damit von unseren Wurzeln.” – sehe ich genauso.

Ihr Fazit: “Was will ich damit sagen? Es ist nicht einfach mit der richtigen Ernährung in diesen Zeiten. Wir haben alle schon genug Stress zu Hause und im Job. Wir können nicht alle zu Ernährungsexperten werden. Die Lösung aber ist ganz einfach. Denn die simpelsten Wahrheiten sind immer noch die besten: Kochen Sie selber und mit natürlichen Zutaten. Kaufen Sie saisonal und regional. Und essen Sie nur ab und zu ein Stückchen Fleisch – aus artgerechter Tierhaltung!” (Streichung von mir…)

Unabhängig von Industrie und (Rück)Besinnung auf richtiges Essen – DAS isses!

Fazit: Sarah Wiener-Ernährung, aber vegan (regional, saisonal, bio und vegan) – das wär dann so mein Ideal.

Eures auch?

 

PS: Ideal-Definition nach Duden: als ein höchster Wert erkanntes Ziel; Idee, nach deren Verwirklichung man strebt. Nur weil es mein Ideal darstellt, sieht mein Speiseplan nicht nur so aus wie oben geschildert. Auch ich esse Ersatz-Produkte. Noboby’s perfect…

Markt_Labin1

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